Blick auf die Prager Karlsbrücke von der Moldau aus.
|

Karlsbrücke: Wo der Dreißigjährige Krieg endete

Frühmorgens in Prag zeigt sich die Karlsbrücke von ihrer stillsten Seite. Nebelschwaden hängen über der Moldau, während das erste Licht den Sandstein der Bögen in ein warmes Gold taucht. Heute flanieren hier Touristen mit Kameras und Kaffees in der Hand – doch vor beinahe 400 Jahren war dieser Ort Schauplatz einer letzten verzweifelten Schlacht.

Blick auf die Prager Karlsbrücke von der Moldau aus.
Blick auf die Prager Karlsbrücke von der Moldau aus.

Die Brücke selbst hat eine viel ältere Geschichte. Sie wurde im Jahr 1357 unter Kaiser Karl IV. erbaut, der den Grundstein am 9. Juli um 5:31 Uhr morgens legen ließ – ein Datum, das bewusst nach einem numerischen Palindrom gewählt wurde: 1-3-5-7-9-7-5-3-1. Eine Zahl, die von Mystikern als besonders kraftvoll galt. An der Stelle der heutigen Karlsbrücke stand zuvor die Judithbrücke, die jedoch 1342 von einem Hochwasser zerstört worden war. Die neue Brücke sollte nicht nur stärker sein, sondern auch ein Symbol der kaiserlichen Macht und Verbindung zwischen Altstadt und Kleinseite.

Gebaut wurde sie aus Sandsteinblöcken, verbunden durch ein Gemisch aus Mörtel und – so heißt es in alten Legenden – sogar Eiweiß, das zur besseren Festigkeit beitragen sollte. Aus dem gesamten Land sollen Eier in die Hauptstadt transportiert worden sein – manche Dörfer schickten aus Unwissenheit sogar gekochte. Noch heute trägt die Brücke in ihren Bögen die Spuren dieser mittelalterlichen Baukunst.

Tor am Brückenkopf der Prager Karlsbrücke.
Tor am Brückenkopf der Prager Karlsbrücke.

Der Dreißigjährige Krieg, der von 1618 bis 1648 Europa verwüstete, begann in Prag mit dem berühmten Fenstersturz auf dem Hradschin. Was viele nicht wissen: Auch das Ende dieses langen Konflikts ist eng mit der tschechischen Hauptstadt verbunden. Im Jahr 1648, kurz vor Unterzeichnung des Westfälischen Friedens, erreicht der Krieg nochmals das Herz der Stadt.

Schwedische Truppen stoßen im Herbst überraschend auf die Prager Kleinseite vor. Ihr Ziel: der Hradschin, die königliche Burg, und von dort aus ein Vorstoß über die Karlsbrücke in die Altstadt. Die Schweden hoffen, mit der Eroberung Prags ein Faustpfand für die Friedensverhandlungen zu schaffen.

Die Prager Karlsbrücke mit Brückentor von der Moldau aus.
Die Prager Karlsbrücke mit Brückentor von der Moldau aus.

Doch die Stadt verteidigt sich. Bürger, Studenten, Jesuiten und die kaiserliche Garnison schließen sich zusammen. Auf den Brückentürmen werden Kanonen positioniert, Barrikaden errichtet und Schießscharten genutzt. Der mittelalterliche Bau wird zum Kriegsschauplatz – jede Statue zur Deckung, jeder Bogen ein taktischer Vorteil oder Nachteil. Während die Schweden die Kleinseite besetzen können, bleibt ihnen der Durchbruch über die Moldau verwehrt.

Besonders heftig wird um die Brückenköpfe gekämpft. Die Schweden setzen alles daran, die strategisch wichtige Verbindung zwischen den Stadtteilen zu kontrollieren. Doch die Verteidiger halten stand – nicht zuletzt durch den Mut der Zivilbevölkerung. Die Altstadt Prags wird nicht eingenommen. Diese letzte bewaffnete Auseinandersetzung auf mitteleuropäischem Boden verhindert einen schwedischen Verhandlungsvorteil und beendet faktisch die Kampfhandlungen.

Nur wenige Wochen später wird der Westfälische Friede geschlossen. Der Dreißigjährige Krieg ist beendet. Die Karlsbrücke wird damit zum stillen Zeugen des letzten Gefechts eines epochalen Konflikts. Heute erinnern nur noch kleine Gedenktafeln an die erbitterten Kämpfe von 1648. Die meisten Besucher ahnen kaum, welche dramatischen Stunden sich hier abgespielt haben.

Statuen auf der Prager Karlsbrücke.
Statuen auf der Prager Karlsbrücke.

Neben ihrer architektonischen Pracht erzählt die Brücke also auch eine Geschichte von Verteidigung, Hoffnung und einem Neuanfang. Wer über die Karlsbrücke geht, geht über Stein gewordene Geschichte. Jeder Schritt auf ihrem Pflaster ist ein Echo aus einer Zeit, in der ganz Europa in Flammen stand – und genau hier, zwischen den steinernen Heiligen, endlich Frieden greifbar wurde.

Wer heute die Gelegenheit hat, bei Sonnenaufgang oder -untergang über die Brücke zu schlendern, mag sich einen Moment nehmen, innezuhalten. Vielleicht genau dort, wo einst Bürger mit Muskete und Mut der Übermacht trotzten. Die Moldau fließt weiter, doch der Ort bleibt. Geschichte in ihrer eindrucksvollsten Form – greifbar, sichtbar und lebendig.

Fahrt unter der Karlsbrücke auf der Moldau.

Ähnliche Geschichten

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert